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LIMERICK
Kaum sind die strohgedeckten und bunt angemalten Häuser in der
Hauptstrasse von Adare vorbei (gebaut im 19. Jahrhundert als
Reihenhäuser und schmähhalber mit Stroh gedeckt, jetzt aber eine
Attraktion für unbedarfte amerikanische Touristen, und selbst für
sarkastische Österreicher hübsch anzusehen und abzulichten) beginnt bei
den ersten Häusern von Limerick der Stau. So war es jedes Mal, auf allen
Reisen. Woran es liegt, weiß ich nicht. Auf der vierspurigen Straße in
die Stadt fahre ich in der rechten Spur, überhole, solange ich kann und
stecke dann genauso im Stau wie die Autofahrer in der linken Spur, bloß
um zwanzig Autos weiter vorne. Spaß hat es aber schon gemacht, denke
ich, ganz Kind.
Durch die Stadt schieben wir uns Richtung Zentrum, ein langer
Tatzelwurm, doch dann erlebe ich Neuigkeiten: nach links geht es, auf
eine weite leere Fläche mit einem riesigen Kreisverkehr: wo noch 1984
verfallene Lagerhäuser standen, romantisch zu fotografieren, ist jetzt
sozusagen NICHTS. Anstandslos finde ich die Ausfahrt zur Ennis Road,
fahre die jetzt schon gewohnte Strecke zum Limerick Ryan Hotel. Auf dem
riesigen Parkplatz gibt es viele freie Stellplätze. Der Stellplatz, den
ich in der Erinnerung als ideal kannte, erweist sich nicht eben als
ideal, als ich ihn anfahre: zwar liegt er unter einem großen Baum, ich
könnte den Bus mit der Schiebetür dem Hotel abgewandt hinstellen und
niemand würde mich aus- und einsteigen sehen, doch der Platz unter dem
großen Baum ist leider mit Glassplittern übersäht und ich fürchte um die
Reifen.
Also stelle ich mich auf einen Platz gegenüber dem alten Teil des Hotels
hin, in dem das Pub untergebracht ist und der Empfang. 1984 habe ich im
Hotel gewohnt und erinnere mich noch an die üppige Brünette, die mich
scherzhaft beschimpft hat, weil ich den Gutschein für die Unterkunft
nicht bereit hatte: You Rogue, you. Schlecht habe ich damals in meinem
fürnehmen Zimmer geschlafen - hier im Westen geht die Sonne spät unter.
Heuer wird die Unterkunft billiger sein. Die Brunette ist nicht mehr am
Empfang.
Um nicht im Dunklen herumfummeln zu müssen, lege ich die Sitzbank schon
jetzt um, klemme die Pappendeckelblenden hinter die Scheiben. Dann
marschiere ich ins Pub, das ich schon kenne von den früheren
Aufenthalten.
Das Pub ist gefüllt mit Amerikanern, die aufgeregt schwatzen, soll es
doch am Abend zum Bunratty Castle gehen, mit dem berühmten Rittermahl.
Dort werden sie mit bloßen Händen Schweinsrippchen essen, verkleidet in
altertümliche Umhänge, und gegen Bezahlung fotografiert werden,
kostümiert als irische Adelige. Dazu werden sie Met trinken,
hauptsächlich aber Bier und Whiskey, und angesoffen im Autobus
heimgebracht werden nach eineinhalb Stunden. Jetzt geht es darum, wer im
ersten Bus fährt oder im zweiten, der erst um halb 9 Uhr losfährt. Das
hindert sie freilich nicht, sich um die Bar zu drängeln und gleichsam
vorbeugend Whiskey zu ordern. Die Sparsameren ordern keinen Whiskey
sondern bloß ein Glas mit Eis, denn den Whiskey haben sie schon im
Flugzeug gekauft und trinken ihn im Zimmer.
Ich trinke friedlich ein Pint of Guinness und danach noch ein zweites.
Dann mache ich mich auf zur Ennis Road und wandere Richtung
Stadtzentrum. Freilich gehe ich nicht weit: vor der Brücke über den
Fluss biege ich nach links ab in die Wohnsiedlung und wundere mich
wieder einmal über die Iren, die es aushalten, in einer Siedlung zu
leben, in der jedes Haus gleich ausschaut, unterschiedlich nur die Farbe
der Haustüre und der Fensterrahmen. Und nicht nur das ist gleich: die
sozialen Zwänge verlangen offenbar auch das Rasenmähen am selben Abend.
Durch gewundene Strassen bin ich zum Hotel zurückgekehrt. Ich gehe
stadtauswärts, entdecke einen riesigen Quinnsworth-Supermarket, doch ist
er schon geschlossen. Morgen werde ich einkaufen.
Zum Hotel zurückgekehrt, mache ich es mir bequem im Bus und lese den
Reiseführer wie jeden Abend, gilt es doch, den nächsten Tag zu planen.
Dabei überfällt mich die Erinnerung an den Aufenthalt mit der Celica:
damals habe ich lange gewartet, bis ich mich Schlafenlegen konnte, habe
mir dann eigens einen Parkplatz möglichst nahe einem Mäuerchen gesucht,
damit sich niemand rechts neben mir einparken könnte; gegen Mitternacht
ist eben das geschehen: mit vielem Reversieren gelang es einem Iren,
sein Auto zwischen meinem und dem Mäuerchen einzuzwängen. Ob er mich
beim Aussteigen im Auto liegen sah, weiß ich nicht: ich habe daraufhin
den Hotelparkplatz verlassen und bin in Richtung eines Parkplatzes an
der Straße nach Galway gefahren, auf dem ich mittags gerastet hatte. Den
Parkplatz habe ich nicht wiedergefunden, bin enge Seitenstraßen zwischen
Hecken entlanggefahren, in irgendein Nest gekommen, habe das Auto bei
der Einfahrt auf eine Wiese geparkt und wurde am Morgen wach, als der
Bauer das Gatter öffnete, um seine Kühe zu tränken. Ich darf sagen, er
staunte Bauklötze, wie die Piefkes meinen.
Am Morgen fuhr ich nach Limerick zurück, natürlich viel zu früh, als
dass der Quinnsworth-Supermarket schon geöffnet hätte. So habe ich
gewartet und war der sprichwörtlich erste Kunde: vorher gab es noch die
Hürde zu überwinden, dass für den Einkaufwagen ein Pfand zu entrichten
war: 1 ganzes irländisches Pfund, von einem wunderbar rotschädeligen
Iren eingehoben. Arbeitskraft ist billig in Irland; in Deutschland und
nun auch schon vereinzelt in Österreich muss man in irgendwelche
Automaten S 10.- einwerfen, in Irland kommt es offenbar billiger,
irgendeine Hilfskraft zu beschäftigen. So sind auch die
Selbstbedienungstankstellen weitgehend verschwunden. Bunratty Castle und Folk
Park
Eingekauft und versorgt, ging es weiter nach Bunratty Castle und dem
Folk-Park. Bunratty Castle ist von einer Gesellschaft zur Förderung der
Shannon Region aufgekauft worden, deren Manager die glanzvolle Idee der
Medieval Banquets hatten: gegen Bezahlung gibt es irgendwelche Umhänge
(gegen mehr Bezahlung schönere Umhänge und eine Krone) und dann sitzt
man an einer Art von Heurigentischen auf Holzbänken und frisst mit
bloßen Händen Schweinsrippchen und Schweinebraten in sich hinein,
angedudelt von einer echt irischen Folkmusic-Band und umgehängt ein
Lätzchen, falls man sich anpatzen sollte und zum Handabwischen. Gabeln
gibt es auch nicht - angeblich auch nicht im Mittelalter, und zu all dem
gibt es angeblich echten Met. Kein Wunder, dass seit Jahrzehnten eine
Schar von Amerikanern in Bunratty Castle jeden Abend einfällt - in zwei
Schichten - und sich anfrisst und im Autobus zum Teil das Gegessene
wieder loswird - lustig wars schon. Als schwachen Abklatsch gibt es das
Rittermahl in Burg Lockenhaus im Burgenland. Die Gesichter der alten
Männer und Frauen, auf "lustig" getrimmt auf den Plakaten, haben mich
jedesmal traurig gemacht. Alt werden ist keine Schande, aber zum
Wurschtel muss man deshalb doch nicht werden.
Bunratty Castle freilich ist, abgesehen von der allabendlichen Vermarktung, einer der wenigen erhaltenen Wohntürme aus dem Mittelalter. Man kann ihn am Vormittag und frühen Nachmittag besichtigen: Ich möchte im Mittelalter bestenfalls als Clanherr in solch einem Wohnturm gewohnt haben, und selbst dann wäre es nicht so besonders gemütlich gewesen. Fenster gibt es wenig in solch einem Turm und im Winter konnte man sie nur mit Schweinsblasen schließen, um doch ein wenig Licht hereinzulassen. Betten gab es angeblich auch nicht; die Schar schlief auf Stroh, vermutlich dick eingemummelt und mangels Waschgelegenheiten entsetzlich stinkend.
Aber allabendlich saßen sie zusammen, sangen
angeblich fröhliche Lieder und tranken Met und Bier: außerdem aßen -
eher fraßen - sie Schweinerippchen etc. Mag schon sein; die Forscher
allerdings sagen, soviel Fleisch gab es in der mittelalterlichen
Gesellschaft auch wieder nicht zu essen. Eher saßen sie zusammen und
aßen Gerstenbrei mit Salz: die Lieder dürften auch nicht ganz so
fröhlich ausgefallen sein und vom Bier des Mittelalters schweigen wir
besser. Vielleicht hat es ihnen innerlich eingeheizt, ich wünsch es
ihnen allen, denn die offenen Kamine in der Halle im zweiten Stock sind
zwar sicher schön anzusehen, aber ich habe noch keinen Kamin erlebt, an
dem man nicht vorne geröstet und hinten eisgekühlt wurde - vorausgesetzt
man sitzt in der ersten Reihe. Die in der letzten Reihe - und warum
sollte es in solchen Gesellschaften keine Rangordnung gegeben haben -
werden wohl nur eisgekühlt gewesen sein. Nunmehr kulturell gebildet, wandere ich in den Bunratty Folk Park. Das ist nun ein wirklich hübsches Projekt: aus der ganzen Shannon Region hat man alte Häuser zusammengetragen und wiederaufgebaut: vom Cottage des Fischers bis zum Haus der reichen Bauern, von der Druckerei bis zum Pub mit dem Hochrad daneben und dem roten Telefonhäuschen. Daneben baut man fest an weiteren Häusern und verwendet ganz moderne Baumaterialien. Das Ganze ist naturgemäß ein Schmäh und leicht durchschaubar, eine geschönte Vergangenheit.
Doch ist man in der Dorfstraße und vergisst die eifrig
knipsenden Japaner, kann man sich wirklich in die Vergangenheit
zurückversetzt fühlen. Manchmal wird es komisch: vor einem
rekonstruierten Pub mit dem Plakat "Come in" stehe ich und gehe dann
hinein. "Are you a real Pub?" frage ich töricht die Dame hinter der
Theke und die fragt mich, ob ich ein Guinness haben möchte. Leider nein,
in so stilvoller Umgebung aus den Zwanzigerjahren hätte ich noch gerne
ein Bier getrunken, aber ich muss leider mit dem Bus noch weiterfahren.
Aber ein nicht so stilvolles Cola aus bauchiger Flasche trinke ich
immerhin und das hat es ja in den Zwanzigerjahren auch schon gegeben.
Auf dem Rückweg besuche ich eines der etwas größeren Häuschen, drinnen
wird Brot gebacken und die Amerikanerinnen, die nach mir das Haus
betreten, verfallen in Entzücken. Dass Brotbacken ja kein Vergnügen war,
sondern aus der Notwendigkeit heraus geboren, nicht unnötig Geld
auszugeben, auf die Idee kommen sie nicht. Das steht wahrscheinlich
nicht im Reiseführer.
Die Häuschen durchwandert, lande ich im Coffeeshop, in dem ich einen
ganz entsetzlichen Kaffe trinke, anders ist das Gebräu nicht zu
beschreiben. Zum Trost mache ich unter dem jetzt aufklarenden Himmel
viele schöne Bilder; die meisten wirken so echt, dass mich die Leute
daheim fragen werden, ob Irland wirklich noch so altmodisch ist. Ich
bejahe: nicht, weil ich die Fragenden in die Irre führen will, s¾ndern
weil ich daran glaube: Irland ist altmodisch nicht im Sinne fehlender
Technik, sondern infolge der STILLE: spätestens am ersten Abend in
Irland fällt einem auf, dass NICHTS zu hören ist: denke ich an den
Restlärm in Österreich, hier ist einfach nichts zu hören, so man Glück
hat.
Bunratty Castle Folk Park absolviert, fahre ich weiter nach Norden: das
Craggaunowen Project steht auf dem Programm: ein mittelalterliches
Ringfort und daneben in einem Glashaus das rindslederne Boot, mit dem
Tim Severin 1978 die Überfahrt von Irland aus nach Nordamerika
rekonstruiert hat: die sagenhafte Brendan`s Voyage, die im Kloster von
Seitenstetten und anderswo festgehalten ist: die Reise irischer Mönche
nach Nordamerika. Er hat es geschafft: nach vielen hundert Jahren und
versorgt mit den Nachrichtenmitteln des zwanzigsten Jahrhunderts,
wissend, dass auf der anderen Seite des Meeres Land ist, mit einer ganz
anderen psychologischen Ausgangslage also. Eine großartige Leistung ist
es dennoch und er hat gezeigt, dass die Reise mit den damaligen Mitteln
möglich gewesen ist.
Weiter gehts, nach Norden. Die Straßen sind leer, wenig Verkehr, die
Sonne scheint zwischen den ziehenden Wolken durch, es ist warm, aber
nicht heiß: Schöner könnte es nicht sein. Ich fühl mich glücklich.
CLONFERT
Nach mehreren Kilometern komme ich nach Clonfert, ein Nest, das der Beschreibung spottet, aber mit einem Denkmal, das so wie Clonmacnoise und Glendalough zu den größten der Christenheit gehört: Clonfert ist berühmt nicht wegen der Gelehrsamkeit wie Clonmacnoise, das Alkuin, der Kanzler Karls des Großen als UNIVERSITÄT DES WESTENS bezeichnete, nicht wie Glendalough, das den irischen Mönchen als Ersatz für die ägyptische Wüste zum Zweck Heiligmäßigen Lebens diente: Clonfert ist berühmt - und unvergesslich für jeden, der es gesehen hat - wegen des herrlichsten romanischen Portals Irlands.
Von Cluain Fhearta, dem "Feld der Gräber", das von St. Brendan gegründet
wurde, ist nichts übriggeblieben als das Portal und der Chorbogen im
Inneren, die beide auf das späte 12. Jhdt zurückgehen. Der dreieckige Überbau des Portals ist in Irland einzigartig; man nimmt an, dass ihn
einer geschaffen hat, der Rom oder Santiago de Compostela gesehen hat.
Mich beeindruckt der Anblick tief: weit im Westen eines fernen Landes
ein Kunstwerk, in einer wahrhaft mittelmäßigen Gegend, dass mir das Herz
vor Glück klopfen lässt: gleichzeitig allerdings der hässliche Verdacht,
den ich schon immer hegte, ganz lebendig, dass vielleicht das Riesentor
des Stephansdomes in Wien, über das alle österreichischen
Kunsthistoriker jubeln, doch nicht ganz so großartig sein könnte, wie
Lokalpatriotismus es fordert. Liegt es daran, dass angesichts einer
riesigen gotischen Kirche romanische Überreste so bescheiden wirken, wie
sie angesichts der Allmacht Gottes gedacht waren, liegt es daran, dass
ein so herrliches Kunstwerk noch herrlicher wird in einem mit Margeriten
und Fuchsien - und Brennesseln, jawohl - überwachsenen Friedhof, ich
weiß es nicht. Selten, nicht einmal in Glendalough, war ich so
beeindruckt.
Dazu kommt die Umgebung: die "Kathedrale von Clonfert" liegt inmitten
eines noch belegten Friedhofes. Der Gegensatz zwischen der gleichsam
zeitlosen Kirche und den verfallenden Gräbern beeindruckt mich tief.
Auch diese Gräber sind in der typisch irischen Art verfallen; die
kleinen Grabsteine in Kreuzform vorgeneigt und mit Gras überwachsen,
manche mit weißen Kieselsteinen bedeckt, mit Plastikkreuzen bedeckt, die
innen mit Plastikblumen in den verschiedenen Stadien der Ausbleichung.
Vom Ort, der ja vorhanden gewesen sein muss, die beiden Häuser sind ja
kaum hundert Jahre alt, ist nichts mehr sichtbar, man müsste wohl
Ausgrabungen veranstalten. Doch daran fehlt es am Geld und - vielleicht
- auch am Interesse.
© Peter Lausch, 1990, ergänzt 2016
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